Interview: Inwiefern beeinträchtigt die Coronakrise eine Insel auf ihrem Weg zur Energieunabhängigkeit?

von Anselm Bareis und Oliver Hölcke, GIZ/EUKI

Wir haben mit dem Klimaaktivisten Vjeran Pirsic von Eko Kvarner über die aktuelle Krise, ihre Auswirkungen auf seine Arbeit auf der kroatischen Insel Krk und das Potenzial des European Green Deal im Rahmen der kommunalen und europäischen Krisenbewältigungsstrategien gesprochen. Ziel des EUKI-Projekts „Krk auf dem Weg zur CO2-neutralen und energieautarken Insel“ ist es, die Treibhausgasemissionen durch die Forcierung einer umfassenden Nutzung von Solarenergie zu reduzieren. Die kleine Insel und Solarstrom-Pionierin strebt an, die erste energieautarke Insel im Mittelmeerraum zu werden.

Veröffentlicht: 19. Juni 2020
Krk-78

Herr Pirsic, welche Auswirkungen hat die derzeitige Krise auf Ihr EUKI Projekt?

Die Corona-Krise wirkt sich auf unser Ziel, Krk zu einer CO2-neutralen und energieautarken Insel zu machen, sowohl negativ als auch positiv aus: Einerseits wird aufgrund des derzeit und auch in Zukunft eingeschränkten Tourismus im Mittelmeerraum von öffentlichen Stellen und privater Seite weniger in erneuerbare Energien investiert. Auf Bürgerebene wird eine geringere Produktivität in der Landwirtschaft und Fischerei befürchtet, ein Problem, das auf der nationalen politischen Ebene nicht erfolgreich gelöst werden kann. Da die Insel Krk über keine nennenswerte eigene Nahrungsmittelproduktion verfügt, befürchten viele Menschen, dass es zu Lebensmittelengpässen kommt. Dies könnte bestenfalls zur Folge haben, dass nachhaltiger und langfristiger investiert wird und mehr Photovoltaikanlagen anstatt schicker Autos gekauft werden.

Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie, um die Zusammenarbeit mit Ihren Partnern in der jetzigen Situation aufrechtzuerhalten? Wie können bestehende Netzwerke und Kommunikationsformate weiterhin funktionieren?

Europa sah sich bislang dem Paradigma des Wirtschaftswachstums und der entsprechenden Geschäftsinteressen verpflichtet. Wir erleben jetzt einen Paradigmenwechsel, der von der jungen Generation in der Europäischen Union ausgeht. Die Klimapolitik und Themen wie erneuerbare Energien sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wobei der European Green Deal das Potenzial hat, dass sie auf der Tagesordnung bleiben werden. Das ist ein großer Erfolg und verleiht unserer Arbeit auf Krk einen Schub. Angesichts dieser Entwicklung versuchen wir, die Zusammenarbeit mit unseren Partnern neu auszurichten, um der bevorstehenden Krise entgegenzuwirken und das neue Paradigma in unsere Strategie zur Krisenbewältigung miteinzubeziehen.

Wir erleben jetzt einen Paradigmenwechsel, der von der jungen Generation in der Europäischen Union ausgeht. Die Klimapolitik und Themen wie erneuerbare Energien sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und der European Green Deal hat das Potenzial, dass sie auf der Tagesordnung bleiben werden. Das ist ein großer Erfolg und verleiht unserer Arbeit auf Krk einen Schub.

Vjeran Pirsic
Eko Kvarner

Gewinnt oder verliert das Thema Klimaschutz in Ihrem Land derzeit an Bedeutung?

Auf lokaler Ebene wird der Klimawandel in der Tat immer öfter thematisiert. Abgesehen von dem beschriebenen Paradigmenwechsel, trägt ein weiterer Faktor dazu bei, dass die Menschen sich mit diesem Thema beschäftigen. In den letzten Jahren haben die Wetterbedingungen zu Problemen in der Landwirtschaft geführt. In meiner Region hat zum Beispiel die Weinproduktion unter diesem Phänomen schwer gelitten, sodass mit einer Umstellung auf Permakultur und andere Formen der modernen Landwirtschaft begonnen wurde. Allerdings bleibt die kroatische Strategie, den CO2-Ausstoß um 70% bis 2050 zu senken, weit hinter dem von der EU vorgegebenen Ziel der Klimaneutralität zurück und setzt keine wirklichen Anreize. Meiner Meinung nach, gibt es diesbezüglich auf der nationalen politischen Ebene noch viel nachzuholen.

Welches Potenzial hat die Digitalisierung für die Förderung des Klimaschutzes – nicht nur in Krisenzeiten, sondern generell?

Das ist eine sehr interessante Frage! Wir haben in Kroatien einen sehr großen Verwaltungsapparat und öffentlichen Sektor, sodass es aufgrund der Bürokratie manchmal zu Verzögerungen kommt. In den letzten drei Monaten ging dank der Digitalisierung von Prozessen einiges urplötzlich viel schneller als zuvor. Wenn das so bleibt und auf den Klimaschutz übertragen werden kann, ist das Potenzial sehr groß. Ich bin jedoch nicht zu 100 Prozent optimistisch, dass das in Kroatien auch tatsächlich der Fall sein wird. Ein weiterer Nebeneffekt ist, dass die Menschen von Zuhause aus arbeiten und merken, dass man nicht überall hinfahren muss. Das führt aktuell ebenfalls zur Verringerung der Umweltverschmutzung.

Was kann die EU Ihrer Meinung nach tun, damit der Klimaschutz wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird, selbst in gefährdeten Volkswirtschaften?

Der European Green Deal ist ein guter und wichtiger Rahmen, der in vielen Ländern allerdings nur schwerlich umzusetzen ist. Meiner Meinung nach ist er eher für Länder und Gesellschaften wie Deutschland oder Frankreich konzipiert. In Kroatien ist er aufgrund sozioökonomischer Aspekte, wie zum Beispiel der gesellschaftlichen Vielfalt, ein historisches Erbe des Sozialismus, oder auch der mediterranen Denkweise sehr schwer anzuwenden. Denn diese unterscheidet sich stark von der in anderen EU-Region vorherrschenden protestantischen Ethik. Daher wäre ein auf die kroatischen Geschäftsinteressen und gesellschaftlichen Bedürfnisse abgestimmter European Green Deal effektiver und noch hilfreicher, um den Klimaschutz in Kroatien wieder auf die Krisenbewältigungsagenda zu bringen.

Der European Green Deal ist ein guter und wichtiger Rahmen, der in vielen Ländern allerdings nur schwerlich umzusetzen ist.

Vjeran Pirsic, Eko Kvarner

Möchten Sie abschließend noch etwas anmerken?

Sehr gerne! Denn abgesehen von einer entsprechend angepassten Version des European Green Deal gibt es noch etwas, das dazu beitragen würde, stärker und nachhaltiger aus der Krise hervorzugehen: Wenn alle politischen Ebenen und die gesamte Bevölkerung „Wachstum“ nicht länger auf Grundlage des BIP bemessen würden, wäre dies eine enorme Hilfe. Der Grund dafür ist recht einfach: Wenn zum Beispiel eine Bewohnerin oder ein Bewohner der Insel Krk ganz auf Photovoltaik setzen würde, bekäme er energieautark und unabhängig von der nationalen Energieversorgung. Dadurch würde er aus der Statistik fallen und weniger zum kroatischen BIP beitragen. Auch wenn in diesem Fall die Umweltbelastung deutlich reduziert und diese Person langfristig viel Geld sparen würde, fehlt es beim jetzigen System leider an Anreizen für einen solchen gewinnbringenden Wechsel.