Dekarbonisierung – Was denkt die tschechische Industrie über klimafreundliche Finanzierung in ihrem Land

von GIZ / EUKI, Karel Voldřich

Das International Sustainable Finance Center (ISFC) unterstützt das laufende EUKI-Projekt “Nachhaltige Finanzierung für die industrielle Dekarbonisierung”. Wir sprachen mit Karel Voldřich, Leiter des Bereichs Industriedekarbonisierung beim ISFC, über die Dekarbonisierung der tschechischen Schwerindustrie, ihre Arbeit als NRO und über die Bedeutung von Vernetzung.

Veröffentlicht: 04. November 2022
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Woran arbeitet das ISFC derzeit?

Wir organisieren im Rahmen eines von der EUKI finanzierten Projekts zwei Workshops zur Finanzierung der Dekarbonisierung der Schwerindustrie in den Ländern der Visegrad-Gruppe. Der erste Workshop drehte sich um grüne Anleihen und der zweite wird sich auf die nichtfinanzielle Berichterstattung oder ESG-Berichterstattung[1] konzentrieren. Wir laden Politiker*innen und Vertreter*innen aus dem Finanz- und Industriesektor ein und bringen diese drei Parteien zusammen, um Diskussionen und Schulungen zur Finanzberichterstattung zu ermöglichen.

Der Zweck dieser Veranstaltungen ist nicht nur der Austausch von Informationen, sondern auch um allen die Gelegenheit zu bieten, Kontakte zu knüpfen und sich zu vernetzen. Denn das ist das Hauptziel unserer Bemühungen: eine Plattform zu erschaffen, um Wissen zu teilen und Best Practices auszutauschen.

Das ist genau, wofür die EUKI steht: Vernetzung und Erfahrungsaustausch! Kennen Sie ein anderes EU-Förderprogramm, das diese Art von Vernetzung unterstützt?

 Alle Projekte, an denen wir arbeiten, beinhalten eine gewisse Vernetzung. Aber so wie das EUKI-Projekt konzipiert ist, ist der Vernetzungsteil wahrscheinlich der größte. Ich denke, was uns in der Tschechischen Republik und auch in anderen Visegrad-Ländern fehlt, ist nicht die technologische Entwicklung in der Schwerindustrie, sondern die Kommunikation zwischen den an der Dekarbonisierung beteiligten Parteien und Interessensgruppen. Dazu gehören Politiker*innen, Vertreter*innen der Schwerindustrie und, da es um die Suche nach Finanzinstrumenten geht, natürlich auch Personen aus dem Finanzsektor.

“Ich sehe durchaus Verbesserungen bei dieser Regierung im Vergleich zu ihrer Vorgängerin, was Nachhaltigkeitsthemen und die Transparenz der Kommunikation angeht. Aber ich denke auch, dass es noch viel Verbesserungspotenzial gibt.”

Karel Voldřich, Leiter des Bereichs Industriedekarbonisierung beim ISFC

Was ist das Ziel Ihres Projekts und wie gehen Sie vor?

 Unser erstes Ziel ist es, einen Finanzierungsfahrplan zu erstellen, der potenzielle Finanzierungsinstrumente für die Dekarbonisierung beinhaltet. Sowohl der öffentliche als auch der private Sektor haben die Kontrolle über diese Instrumente, aber nur selten gibt es einen realistischen Plan, um echte Fortschritte zu erzielen. Um die Schwerindustrie zu dekarbonisieren, braucht man eine riesige Menge Geld. Und das ist schwer zu bekommen. Staatliche Subventionen und private Gelder sind begrenzt, also muss man kreativ sein. Das zweite Ziel besteht darin, eine zentrale europäische Plattform zu erschaffen, auf der sich Menschen vernetzen und austauschen können, um Dekarbonisierungsprojekte zu beschleunigen, und um diese zu pflegen. Das Feedback der Workshop-Teilnehmenden war sehr positiv und bestätigte unsere Hypothese, dass tatsächlich eine Plattform fehlt und sie sich gerne beteiligen werden.

In der Öffentlichkeit wird oft gesagt, dass Dekarbonisierung zu teuer ist und dass es keinen Markt dafür gibt. Was ist Ihre Antwort darauf?

 Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen. Es ist richtig, dass sie teuer ist. Allein in der Tschechischen Republik werden Hunderte von Millionen oder Milliarden Euro benötigt, die für Industrieunternehmen mit geringen Gewinnspannen, eine sehr große Ausgabe bedeuten. Wenn jemand sagt, es gäbe keinen Markt und wir schaffen die Dekarbonisierung nicht, lautet meine Antwort: Wir müssen es schaffen! Das ist der einzige Weg, um bis 2050 eine nachhaltige Region zu werden und das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Wir müssen einen Weg finden. Die Schwerindustrie in der EU muss besonders ehrgeizig sein, denn wenn diese Betriebe Pleite gehen, wird die kohlenstoffintensive Produktion ohne einen progressiven Plan zur Dekarbonisierung in andere Regionen verlagert, was zu noch höheren CO2-Emissionen führen kann.

Die Tschechische Republik ist eine Industrienation. Wie ist das Feedback aus der tschechischen Industrie, sind Ihr Fachwissen und Ihre Beratung gefragt?

Die Industrie in der Tschechischen Republik ist ein konservativer Sektor, der es nicht gewohnt ist, mit NROs oder Think Tanks zusammenzuarbeiten. Das ist in Mittel- und Osteuropa nicht üblich und es ist schwierig für sie, uns in die richtige Schublade zu stecken, da wir unsere Hilfe auch noch kostenlos anbieten. Wir müssen hart arbeiten, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Eine Möglichkeit, den Austausch zwischen den Sektoren zu erleichtern, ist unser CEE Sustainable Finance Summit, die größte Veranstaltung ihrer Art in der Region. Tatsächlich ist die Schwerindustrie stärker auf Dekarbonisierung ausgerichtet, als man gemeinhin denkt. Wenn man sich die Webseiten der ‚Steel Makers Association‘ oder der ‚Cement Association‘ ansieht, machen Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit etwa 80 % des Inhalts aus, es ist ihr Hauptaugenmerk. Sie müssen in der Lage sein, ihre Produktion zu dekarbonisieren, sonst werden sie das nächste Jahrzehnt nicht überleben. Wichtig ist jetzt, dass wir alle zusammenarbeiten und in der Lage sind, das durchzuziehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Karel.

[1] Umwelt, Soziales, Regierungsführung – Environment, Society, Governance

Zugehöriges Projekt