Energiearmut bekämpfen

von Interview mit Andreea Vornicu von Center for the Study of Democracy,

Etliche Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union haben keinen Zugang zu modernen Energiedienstleistungen wie Strom und Wärme. Zwar ist diese so genannte Energiearmut in erster Linie ein soziales Thema, doch hat dieser Missstand auch ökologische Folgen: So verursacht die Nutzung von Abfällen und Autoreifen als Brennstoff zum Heizen beispielsweise schädliche Emissionen und trägt zur Verschlechterung der Luftqualität bei. Betroffen sind vor allem Städte und Gemeinden in Mittel- und Osteuropa.

Ein Forschungsteam des Romanian Center for the Study of Democracy (CSD) hat sich diesem Thema gewidmet, um das Problem der Energiearmut zu analysieren und es zu mindern. Dabei konzentrieren sich die Wissenschaftler vor allem auf die Erfassung der Energiearmut in der rumänischen Stadt Cluj-Napoca (Klausenburg). Die mittelgroße Stadt im Nordwesten Rumäniens gilt als wohlhabend, doch viele Einwohner können sich eine Grundversorgung mit Strom und Wärme nicht leisten.

Andreea Vornicu-Chira ist Mitglied des Forschungsteams. Auf der Konferenz „Catalysing Local European Climate Action“, die von dem EUKI-Projekt BEACON ausgerichtet wurde, hat sie ihre Forschungsergebnisse vor Bürgermeistern und Vertretern von kommunalen Behörden aus ganz Europa präsentiert. Im Interview erklärt sie ihr Forschungsinteresse und legt dar, was andere Städte und Gemeinden am Beispiel von Cluj-Napoca lernen können.

Veröffentlicht: 11. Juni 2019
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Andreea Vornicu vom Center for the Study of Democracy.

Haben Sie persönlich Erfahrungen mit Energiearmut gemacht? Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

Am Anfang war die Energiearmut nicht mein größtes Forschungsinteresse. Als ich jedoch am Center for the Study of Democracy angefangen habe, fand ich es äußerst interessant, mit Menschen zu diskutieren, Daten zu analysieren und herauszufinden, welche Relevanz die verschiedenen Aspekte der Energiearmut besitzen. Energiearmut weist verschiedene Dimensionen auf: Dazu zählen beispielsweise eine legislative, eine politische und eine administrative Ebene sowie die Sichtweise der NROs. Außerdem begann ich, mich für die menschlichen Aspekte zu interessieren und fragte mich, wie die Kommunen und lokalen Akteure mit den Betroffenen umgehen und wie Energiearmut in den Kommunen entsteht und zu einem dauerhaften bzw. wiederkehrenden Problem wird. Deshalb habe ich bei diesem Projekt mitgemacht und forsche weiter an diesen Fragen.

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Cluj-Napoca gilt als wohlhabend, doch viele Einwohner können sich eine Grundversorgung mit Strom und Wärme nicht leisten. Foto: Andreea Vornicu

Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Cluj-Napoca in Rumänien. Welche Herausforderungen bestehen in dieser Stadt?

Es gibt nicht nur eine Herausforderung, sondern verschiedene Probleme, die Energiearmut bedingen. Erstens gibt es Bevölkerungsgruppen, die räumlich vollkommen getrennt von anderen leben. So wohnen Menschen mit niedrigem Einkommen hauptsächlich am Stadtrand und nicht unbedingt in der Stadtmitte. Diese Menschen gehören zu den am stärksten benachteiligten Bürgerinnen und Bürgern. Sie leben in einem abgegrenzten geografischen Bereich und haben keinen Zugang zu Versorgungsleistungen und Energie. Sie müssen ihre Heizsysteme selbst betreiben und Möglichkeiten finden, um ihre Haushalte mit Strom zu versorgen. Cluj-Napoca gilt zwar als eine der reichsten Städte Rumäniens, ist jedoch von Ungleichheit geprägt, die überdies zunimmt. Viele Menschen sind verarmt und an den Stadtrand gezogen. Darüber hinaus haben etliche Bürgerinnen und Bürger der Stadt mit Energiearmut zu kämpfen. Wir vom CSD wollen die verschiedenen Aspekte der Energiearmut erforschen.

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Andreea Vornicu sprach während der BEACON-Konferenz in Heidelberg zu Kommunalvertretern. Foto: adelphi

Energiearmut ist nicht nur ein soziales Thema. Welche Auswirkungen hat Energiearmut auf die Umwelt und den CO2-Ausstoß?

Tatsächlich hängen Energiearmut und Umweltbelastung eng zusammen. Menschen, die sich eine zeitgemäße Energieversorgung mit einer entsprechenden Infrastruktur nicht leisten können, nutzen zum Heizen andere technische Möglichkeiten und Energieträger, und vielfach ist dies nicht Gas. Viele verbrennen Holz und manche auch Abfall von einer nahegelegenen Mülldeponie. Dadurch steigt die Umweltbelastung. Die Wohnhäuser in den Wohngebieten gehören zu den größten Verursachern von Emissionen. Wir vom CSD versuchen, diese Dimension näher zu beleuchten. Wir wollen die Gebäude von Cluj-Napoca erfassen und feststellen, inwieweit die Gebäude aus der kommunistischen und postkommunistischen Ära zur Umweltverschmutzung beitragen, wie die Menschen in verschiedenen Gebäuden leben, wie hoch ihr Einkommen ist, ob sie Zugang zu Sozialleistungen haben und ob sie von Energiearmut betroffen sind. Deshalb konzentrieren wir uns nicht nur auf die extrem marginalisierten Menschen aus Cluj-Napoca, sondern versuchen, das Phänomen der Energiearmut aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, um die Situation der Betroffenen bzw. gefährdeter Menschen besser zu verstehen.

Cluj-Napoca versucht, das Problem der Energiearmut anzugehen. Wie sehen die Maßnahmen der Stadt konkret aus? Welche Möglichkeiten haben die Kommunen generell, um mit dem Thema Energiearmut umzugehen?

Die gute Nachricht ist, dass die Stadt Cluj-Napoca über eine Stelle für Energieeffizienz und einen Energieexperten verfügt. Die Stadt hat damit begonnen, Daten über die Verbräuche in kommunalen Gebäuden zu erfassen und die Verbrauchsentwicklung zu beobachten. Zu diesen Gebäuden gehören Schulen und Krankenhäuser und im Grunde alle Gebäude, die von den örtlichen Behörden genutzt werden.

Derzeit entwickelt das CSD eine Strategie, die in die kommunale Strategie zur Förderung der Energieeffizienz und Bekämpfung von Energiearmut einfließen soll. Wir haben versucht, die Energiearmut in der Stadt im Hinblick auf verschiedene Aspekte zu beschreiben: Dazu gehören die verschiedenen Gebäudetypen, die für diese Gebäude verwendeten Baustoffe, die Wohnungstypen, die Art und der Umfang der Sozialleistungen sowie die Höhe der Einkommen.

Die Kommune zeigt sich für die Erhebung von Daten aufgeschlossen und handelt proaktiv. Rechtlich gesehen entscheidet jedoch die rumänische Regierung über die Einkommensgrenze, ab der der Staat einen Teil der Heizkosten übernimmt. Die Kommunen sind wiederum für die Analyse und Überprüfung der Haushaltseinkommen und die Auszahlung der Heizkostenzuschüsse zuständig. Darüber hinaus können die Kommunen einen Teil ihres Budgets für Heizkostenzuschüsse oder andere soziale Maßnahmen verwenden. Das bedeutet, dass die Kommunen proaktiv handeln und ihre politischen Maßnahmen so gestalten können, dass sie bedürftigen Haushalten zugutekommen.

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Anteil der Wärmeleistungsempfänger an der Gesamtbevölkerung der Regionen 2016 und 2017. Quelle: democracycenter.ro

Was ist Ihr persönliches Ziel im Rahmen dieses Projekts? Was wollen Sie erreichen?

Ich möchte wirklich alle relevanten Stakeholder an einen Tisch bringen, damit wir endlich über das Phänomen der Energiearmut diskutieren. Vor allem möchte ich Energieversorger, NROs, Hochschulen und kommunale Behörden zusammenbringen, um das Problem zu analysieren und gemeinsam mit ihnen effektive Lösungen für die Betroffenen zu entwickeln.

Bitte nennen Sie drei Dinge, die andere Kommunen von Stadt Cluj-Napoca lernen können?

Meiner Ansicht nach, können andere Kommunen von unserer Stadt lernen, dass man bereit sein muss, umfassend Daten zu erheben und die politischen Entscheidungsträger zusammenzubringen. Außerdem sollte eine Kommune aufgeschlossen für neue Technologien sein. So hat Cluj-Napoca beispielsweise Elektrobusse für den öffentlichen Personennahverkehr und andere intelligente Technologien angeschafft. Die Stadt ist bereit, neue Technologien einzuführen und in eine energieeffiziente Infrastruktur zu investieren. Darüber hinaus will die Stadt gezielt Daten zur Entwicklung von bedarfsgerechten entwicklungspolitischen Maßnahmen zu nutzen.